Überzeugen wie Anne Hidalgo – 5 Erfolgsrezepte für Nachhaltigkeitsprofis

Simone Flattich • 27. Juni 2025

Politik gegen das Auto – der sichere Weg, um sich als Bürgermeisterin unbeliebt zu machen? Anne Hidalgo beweist das Gegenteil. Seit 2014 drängt sie den Pkw-Verkehr aus der Pariser City, legt Parkflächen still und lässt Straßen begrünen. Wie überzeugt sie die Bevölkerung von einem Wandel, den viele für radikal halten? 



5 Erfolgsrezepte ihrer Change-Kommunikation:

1. Emotional anschlussfähige Botschaften


Weniger Autos, strenges Tempolimit – die einen verbinden das mit Lebensqualität, andere sehen es als Eingriff in ihre Freiheit. Um die Vorteile zu betonen und den Widerstand abzumildern, spricht Hidalgo unterschiedliche psychologische Motive an:

 

Weniger Stress.  Hidalgos Vision vom Paris der Zukunft ist nicht verkopft, sondern klar und griffig: Die „15-Minuten-Stadt“ verspricht kurze Wege, weniger Staus und Stress. Das holt auch Menschen ab, die vor allem an ihren eigenen Komfort denken.

 

Fürsorge. Mit den autoarmen Schul- und Spielstraßen entstehen sichere Wege und Räume für Kinder. Auf Social Media beweist Hidalgos Team das wieder und wieder, z.B. mit Bildern von Kindern, die allein zur Schule flitzen. 

 

Lebensfreude.  Rad fahren, flanieren, entspannen: Hidalgos Team macht Lust auf ein neues urbanes Lebensgefühl, z.B. in den frisch angelegten „Stadtwäldchen“ oder in Cafés auf umfunktionierten Parkflächen.  


Stolz. Mit Fingerspitzengefühl appelliert Hidalgo an patriotische Gefühle. Zu den Olympischen Spielen preist sie die Transformation der Stadt als Gemeinschaftserfolg an, der „Pariser und Franzosen stolz macht“.


 

Wie überträgst du das Rezept auf Veränderung in Unternehmen?


Stakeholder:innen lassen sich keine Überzeugungen und Gefühle aufdrängen. Damit sie die Veränderung mittragen, müssen deine Botschaften Interessen und Emotionen ansprechen, die bereits vorhanden sind.


Eine junge Frau  fährt ein Leihfahrrad in Paris, auf dem Gepäckträger fährt ein junger Mann mit, lachend

2. Perspektivwechsel statt Blabla


Jeder kennt sie, keiner mag sie: einfallslose, anbiedernde PR-Beiträge. Content, bei dem Stakeholder:innen zwar zu Wort kommen – aber nur, um erwünschte Botschaften wiederzukäuen.

 

Ein Negativbeispiel wäre eine Straßenumfrage zum Thema „Wie wichtig ist Ihnen Klimaschutz?“ Die bringt ganz sicher nur die üblichen Phrasen hervor: „Ja, ist schon wichtig, ne?“

 

Was macht Hidalgos Team stattdessen? In einem Video befragt eine Künstlerin Passant:innen, ob sie ihre „PPM“ kennen, also die CO2-Konzentration in der Atmosphäre in ihrem Geburtsjahr. Der Beitrag vermittelt unterhaltsam und eindringlich, dass für Menschen weltweit die Uhr tickt.


 

Wie überträgst du das Rezept auf Veränderung in Unternehmen?


Bring Stakeholder:innen nicht in die Verlegenheit, Phrasen abzuliefern – verzichte z.B. auf Umfragen im Stil von „Nachhaltigkeit bedeutet für mich …“


Lass Mitarbeitende ihre eigene Perspektive teilen: Alltagsszenarien, Erwartungen und Überraschungen, erste Fortschritte, offene Fragen und Herausforderungen, Anspruch und Wirklichkeit. Lass dich dabei von exzellenten Wirtschaftsmagazinen wie „brand eins” inspirieren.


 

3. Sichtbare Transformation


Jede gute Story erzählt von einer Veränderung: von Zustand A zu Zustand B. Vorher und nachher.

 

In Paris nutzt das Kommunikationsteam jede Gelegenheit, sichtbare Erfolge in Szene zu setzen. Zum Beispiel mit Vorher-Nachher-Bildern der begrünten und verkehrsberuhigten Place de la Concorde.

 

Ein anderer PR-Coup gelang Paris mit Feinstaub- und Stickoxid-Diagrammen: 2007 waren die Werte noch tiefrot, heute sind sie grün. Unter anderem griff die Washington Post die Erfolgsgeschichte auf; Grafiken und Vorher-Nachher-Bilder des Eiffelturms gingen viral.


 

Wie überträgst du das Rezept auf Veränderung in Unternehmen?


Nutze den Vorher-Nachher-Effekt z.B. in Bilderstorys. Denke rechtzeitig daran, das „Vorher“ festzuhalten. Lass etwa das begrünte Dach nicht erst dann fotografieren, wenn schon die Blumen blühen, sondern auch im alten Zustand. 


Projektfortschritte kannst du ebenfalls visualisieren, z.B. eingespartes CO2 mit bunten Kugeln, die ihr einmal monatlich in einen Behälter werft – bis zum erklärten Jahresziel. 


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4. Menschen in Aktion


Hidalgo auf dem Rad, Hidalgo schwimmend in der Seine – PR-Bilder, die Erfolge zeigen und Identifikation schaffen. Die Bürgermeisterin lebt das Verhalten vor, das ihre Politik fördert. Implizite Botschaft: Die neue Normalität macht Spaß und ist keine Gängelung.

 

Wie überträgst du das Rezept auf Veränderung in Unternehmen?


Es lohnt sich immer zu fragen: Können wir Themen personalisieren? Motivierte Mitarbeitende sind die besten Vorbilder, gefolgt von Führungskräften - wenn sie nicht nur beim Fototermin mit gutem Beispiel vorangehen. So beugst du polemischer Kritik vor („Jobrad predigen und Mercedes fahren!“). Nebenbei machen Menschen eure Beiträge lebendiger. 


Menschen auf Fahrrädern auf dem Platz vor dem Pariser Louvre

5. Variieren und wiederholen


Plakative Zahlen und Fakten, atmosphärische Bilder, Mikro-Storys aus dem Alltag der Pariser:innen: Auf Social Media wiederholt Hidalgos Team Varianten der Kernaussagen und Motive Tag für Tag und verankert sie damit positiv im Gedächtnis.

 


Wie überträgst du das Rezept auf Veränderung in Unternehmen?


Einmal ist keinmal – Information, die wir nur einmal wahrnehmen, bleibt nicht im Kopf. Es reicht nicht, über wichtige Inhalte einmal zu reden, sie auf eine Unterseite im Intranet zu packen oder als Führungskraft auf die „offene Tür“ zu verweisen.

 

Besser: Mitarbeitende an verschiedenen Kontaktpunkten informieren (z.B. Meetings, Aushänge, interne App, E-Mails) und Kernbotschaften in Varianten wiederholen.


Damit es nicht langweilig wird, verpacke deine Botschaften in immer neuen Storys aus dem Alltag. 


Die Pariser Verkehrswende

Frisches Grün, saftige Parkgebühren


Anne Hidalgo verfolgt seit 2014 ein ambitioniertes Programm zur Verkehrswende und Klimaanpassung. Die Stadt hat seitdem weiträumig Tempo 30 eingeführt, über 220 autofreie Zonen geschaffen und baut ihr Radwegenetz  aus, das bald 550 Kilometer umfassen soll. Paris kassiert inzwischen hohe Parkgebühren für SUV und hat zudem rund 70.000 Stellplätze umgewidmet. An deren Stelle entstehen zum Beispiel Grünflächen, sogenannte Stadtwälder (forêts urbaines) und Gartenstraßen (rues végétales).


Eine Mehrheit der Bewohner:innen unterstützt die Anti-Auto-Politik - zwei Drittel besitzen selbst keinen Pkw. 2025 votierten in einer Bürgerbefragung knapp 66 Prozent für 500 weitere autofreie Zonen. Laut einer Studie des regionalen Stadtplanungsinstituts hat das Fahrrad inzwischen das Auto als liebstes Transportmittel überholt: Pariser:innen legen nur noch rund 4 Prozent der Wege mit dem Pkw zurück, gegenüber 11 Prozent mit dem Rad.


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